ISBN-13: 9783484181403 / Angielski / Twarda / 1996 / 325 str.
Rilkes "Sonette an Orpheus" haben jahrzehntelang in erster Linie durch ihre Kantabilitat, ihren Klangreichtum, ihre musikalische Leichtigkeit bezaubert. Doch die Kantabilitat eines Werks schliet keineswegs poetische Raffinesse, poetologische Originalitat und theoretisches Kalkul aus. Dies macht die vorliegende Arbeit in einer umsichtigen und detaillierten Textanalyse deutlich. Rilkes eigener Anspruch setzt dabei den Mastab. Wenige Monate vor der Entstehung der "Sonette an Orpheus" schreibt er, jeder Dichter musse sich dazu "erzogen haben, die Feder als das zu gebrauchen, was sie vor allem ist: als ein redliches, genau beherrschtes und verantwortetes Werkzeug." Der Erkenntnisgehalt der Form ist somit ernst zu nehmen. Erst von den klanglichen, rhythmischen, lexikalischen und bildlichen Sprachvaleurs aus lassen sich die vielumstrittenen Fragen nach der Einheit des Zyklus, nach Rilkes manipulativem Umgang mit der Sonettform oder nach dem morphologischen 'Keimzellenprinzip' seiner poetischen Verfahrensweise prazise beantworten. Und ebenso kann erst von hier aus Rilkes Beitrag zur modernen Subjekt-Diskussion, zu einem progressiven Werk-Begriff, zum Grenzgang zwischen Abstraktion und Mimesis, zu einer neuen Temporalitatsauffassung oder zur Umdeutung der Orpheusfigur jenseits von Spekulationen gewurdigt werden. Auf Grund der Ergebnisse erfahren zahlreiche festgeschriebene Topoi der Rilke-Interpretation eine entschiedene Revision. Gleichzeitig wird die brisante literarhistorische Schwellenposition des schmalen Zyklus offenbar: Er tradiert nicht nur die Kategorien der symbolistischen 'klassischen' Moderne, sondern enthalt auch eine Bewegung, die diese Kategorien aufbricht in Hinblick auf eine Dimension des Sagens, die erst die Lyrik nach dem Zweiten Weltkrieg einlosen wird.