ISBN-13: 9783050034140 / Niemiecki / Twarda / 1999 / 289 str.
Was man in der alteuropaischen Metaphysik "das Wesen" des Menschen genannt hat, ist historisch zugrunde gegangen. Die Spezifik des Menschen wurde in seiner dualistischen Aufspaltung, entweder Seele oder Korper zu sein, und in seiner monistischen Auflosung, ganz Natur oder Geist zu sein, verfehlt. Gleichwohl sind wir alle in unserem Common sense praktisch der Frage ausgesetzt, wie wir die naturlichen, sozialen und kulturellen Aspekte unserer Existenz in der Fuhrung eines menschlichen Lebens sinnvoll berucksichtigen konnen. Die neuen Reproduktions-, Umwelt-, Kommunikations- und Sozialtechnologien werfen taglich die Frage auf, was es heit, als vergleichbare Person und als Individuum ein menschliches Leben zu fuhren. Die "Philosophische Anthropologie" (Helmuth Plessner) hat die Spezifik menschlicher Phanomene naturphilosophisch als eine Besonderheit im Spielverhalten hoherer Saugetiere erschlossen. Im Spielen kann Verhalten von seinem ursprunglichen Antrieb abgelost und an einen neuen Antrieb gebunden werden. Dies gelingt seitens des Organismus um so besser, je ruckbezuglicher seine zentrische Form (Gehirn) der Selbstreproduktion wird. Dadurch entsteht aber eine Ambivalenz in den Zentrierungsrichtungen des Verhaltens, namlich spontan aus der leiblichen Funktionsmitte des Organismus heraus oder von den korperlich moglichen Funktionsmitten der Umwelt her. Diese Ambivalenz bedarf zur Stutzung entsprechender soziokultureller Losungsformen, in denen sie lebbar verschrankt werden kann. Wer - wie z. B. Kinder - spielt, lebt in der Differenz, sein Verhalten verkorpern (von einem Zentrum auerhalb des eigenen Leibes her koordinieren) und verleiblichen (auf seinen eigenen unvertretbaren Leib hin zentrieren) konnen zu mussen. Die (kategorische) Not solcher Lebewesen, ihre beiden Zentrierungsrichtungen ausbalancieren zu mussen, kann aber auf kontingente Weise (konjunktivisch) befriedigt werden. Dieser "Kategorische Konjunktiv" (Plessner) der Lebensfuhrung macht Menschen einer geschichtlich zu erringenden soziokulturellen Natur bedurftig. Im ersten des auf zwei Bande konzipierten Werks wird Plessners "Kategorischer Konjunktiv" als ein Spektrum menschlicher Phanomene vorgefuhrt, in denen sich unsere verschiedenen leiblichen und korperlichen Sinne zu einer Funktionseinheit verschranken. Der Zusammenhang unserer Sinne ergibt sich daraus, da jeder Mensch lebensgeschichtlich eine soziokulturelle Elementarrolle spielt. Dank dieser kann man sich personalisieren (vergleichbar werden) und im Unterschied zu ihr individualisieren. Das Schauspielen der Rolle gerinnt in Ausdrucks-, Handlungs- und Sprachformen, unter denen die westliche Modernisierung hochst einseitig solche der Selbstbeherrschung durch Selbstbewutsein ausgezeichnet hat. Das Ausspielen der Rolle findet aber seine Verhaltensgrenzen in Phanomenen ungespielten Lachens und Weinens, in denen die Zuordnung zwischen Individuum und Person nicht mehr gelingt. Das Eingespieltsein zwischen sich als Person und Individuum kann im ungespielten Lachen zu mehrsinnig oder im ungespielten Weinen sinnlos werden. Die soziolkulturell zu bestimmter Zeit anerkannten Rollen werden aber individuell durch Suchte und Leidenschaften und geschichtlich durch kulturelle Entfremdung der Nachwachsenden und gesellschaftliche Offnung der Gemeinschaftsformen wieder aus der Balance gebracht. Daraus resultiert das Problem der geschichtlichen Selbstermachtigung von Individuen und Generationen. Plessners neue Konzeption souveraner Formen von Macht, die aus der Relation zur eigenen Unbestimmtheit zu gewinnen sind, und im Hinblick auf die moderne Emanzipation der Macht fur plurale Gesellschaften als Minima moralia erortert. In den Verhaltensgrenzen des angespielten Lachen und Weinens werden wir uns unbestimmt. Wer diese Grenzen uberschreitet, begeht der Moglichkeit nach Unmenschliches.