ISBN-13: 9783050041032 / Niemiecki / Twarda / 2004 / 359 str.
ISBN-13: 9783050041032 / Niemiecki / Twarda / 2004 / 359 str.
Die Gesundheitsreform ist in aller Munde. Die Parteien streiten sich, die Verbande wollen ihre Besitztumer erhalten und das Volk ist betroffen und klagt. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) hat in einer interdisziplinaren Arbeitsgruppe "Gesundheitsstandards" seit dem Jahr 2000 eine fundamentale Studie erarbeitet, die jetzt als Buch mit dem Titel "Gesundheit nach Mass?" vorliegt. Die Analyse der Lage ist evident: Das deutsche Gesundheitssystem sieht sich wie das der europaischen Nachbarlander mit dramatischen Herausforderungen konfrontiert. Weithin besteht Einigkeit, dass diese Herausforderungen erhebliche Veranderungen nach sich ziehen mussen. Zwischen dem Einvernehmen in der Defizitanalyse und der Systemdiagnose einerseits und unterschiedlichen Reformvorstellungen andererseits treten jedoch erhebliche Diskrepanzen auf. An wissenschaftlichen Studien zur Reform des deutschen Gesundheitssystems besteht dabei kein Mangel. Sie haben jedoch nicht dazu gefuhrt, dass Kontroversen uber Reformbedarf, Reformziele und Reformschritte durch Konsense abgelost wurden. Das nahrt den Verdacht, dass der Diskussion um das Gesundheitssystem Friktionen zugrunde liegen, die in bloss organisationspragmatischen und finanzierungstechnischen Uberlegungen nicht manifest werden. Die Studie "Gesundheit nach Mass?" versucht, entsprechende grundlegende Fragen und Probleme hinter der aktuellen Reformdebatte aufzudecken, Vorschlage fur die Systemgestaltung zu gewinnen. Es geht um eine Untersuchung derjenigen Fragen und Probleme, die fur ein ethisch gerechtfertigtes, medizinisch fachgerechtes, wirtschaftlich vernunftiges und rechtlich kompatibles Gesundheitssystem massgebend sind. Die Gesichtspunkte bei den Uberlegungen im Sinne einer Bestandsaufnahme waren: demographischer Wandel, medizinischer Fortschritt, zunehmende Finanzierungsdefizite, Intransparenz der Finanzstrome und unkoordinierte Versorgungs-, Finanzierungs- und Vergutungsstrukturen. Die vorliegende Studie hat sich im Gegensatz zu den Empfehlungen etwa der Rurup- oder Herzog-Kommission, die vorrangig Vorschlage zur Reparatur systemimmanenter Schwierigkeiten des deutschen Gesundheitssystems zu machen, eine andere, in gewisser Weise komplementare Aufgabe gestellt. Sie versucht, auf der Basis grundlegender philosophischer, medizinischer, rechtlicher und okonomischer Uberlegungen ein Modell zu entwickeln, das geeignet sein konnte, wirkliche Reformschritte aus dem gegenwartigen System heraus zielorientiert abzuleiten. Eckpunkte eines solchen Reformmodells betreffen ordnungspolitische Veranderungen, wie neue Partizipationsstrukturen, eine Mindestversicherungspflicht fur alle Burger mit individueller Wahlfreiheit hinsichtlich des Versicherers auf der einen Seite, eine neue Anbieterpluralitat mit Kontrahierungszwang auf der anderen Seite. Die Rolle des Staates soll sich in Richtung einer reinen Gewahrleistungsaufsicht verandern. Bezuglich der Finanzierung setzt sich die Studie fur Personen- ('Kopf-')Pauschalen ein. Der soziale Ausgleich soll durch Ubernahme der Pauschalen fur die Kinder und Umverteilungsmassnahmen bei niedrigen Einkommen erfolgen. Grundsatzlich soll das Gesundheitssystem durch mehr Kapitaldeckung gegen unvorhersehbare Ausschlage gesichert werden. Die Studie tritt ferner fur eine Veranderung der Vergutungsstrukturen im Wege einer weiteren Liberalisierung des Vertragsrechts ein. Dies schliesst vor allem eine qualitatsorientierte Vergutung ein, durch die ein wesentliches Instrument der Qualitatssicherung medizinischer Leistungen geschaffen werden soll. Wie bei einer Passacaglia hat sich bei den Uberlegungen zu den Grundlagen eines zukunftigen dauerhaften Gesundheitssystems ein durchgangiges Grundthema gezeigt: der Antagonismus zwischen der Singularitat des Arzt-Patient-Verhaltnisses einerseits und dem gesundheitsokonomischen Druck zu einer moglichst weitgehenden Standardisierung der medizinischen Leistungen andererseits. Hierbei geht es nur vordergrundig um partikulare Interessen sozialer Gruppen, etwa von Arzten und anderen Leistungserbringern auf der einen und von Patienten und Beitragszahlern auf der anderen Seite. Vielmehr tragt jeder Teilnehmer am Gesundheitssystem den Antagonismus in sich: Es ist der gleiche Patient, der eine moglichst weitgehende Rucksichtnahme auf seine individuellen Bedurfnisse erwartet und der als Beitragszahler moglichst kostenarm davonkommen mochte. Die Frage nach dem richtigen Mass betrifft das Verhalten des einzelnen, die Regeln der Interaktion von Arzt und Patient, aber auch die Organisationsprinzipien eines Gesundheitssystems als anonymer Grossinstitution in einer hochkomplexen Gesellschaft. Die Frage nach dem rechten Mass bot sich daher als Titel fur die Studie an."