ISBN-13: 9783926385369 / Niemiecki / Miękka / 2014 / 134 str.
In Russland erzahlt man sich, wie in aller Welt, seit vielen Jahrhunderten Marchen. Manche von ihnen haben uberall im Lande Verbreitung gefunden, andere sind weniger popular geworden. Doch keines von ihnen hat eine solche Volkstumlichkeit erlangt, wie ein Marchen, das erst gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts entstanden ist: das Hockerpferd, ein Versmarchen des Dichters Pjotr Jerschow (1815-1869). Jerschow war gerade sechzehn Jahre alt, als er in die russische Hauptstadt Petersburg kam, um an der Universitat zu studieren. Hier machte er bald die Bekanntschaft mehrerer bedeutender Literaten, darunter auch die des grossten und beruhmtesten russischen Dichters, Alexander Puschkin, der um diese Zeit selbst schone und lustige Versmarchen zu schreiben begann, die in Russland bis auf den heutigen Tag jedes Kind kennt. Als aber Jerschow in wenigen Wochen sein Hockerpferd niederschrieb, war allen klar, dass er sogar Puschkin ubertroffen hatte. Doch blieb das Hockerpferd sein einziges so geglucktes Werk. Er schrieb spater, als er sein Studium absolviert hatte und als Schulrektor nach der sibirischen Stadt Tobolsk versetzt wurde, noch viele Verse, doch blieb ihnen der Erfolg versagt. Das Hockerpferd dagegen hat nicht nur die mehr als 150 Jahre uberlebt - es wird fast jedes Jahr von den verschiedensten Verlagen aufs neue herausgegeben und ist dann in wenigen Tagen vergriffen; eine Oper und ein Ballett, die den beliebten Titel tragen, stehen standig auf dem Spielplan vieler Musiktheater, darunter eines der grossten in der Welt - des Moskauer Bolschoi, und die beruhmtesten russischen Schauspieler rezitieren das Marchen immer wieder im Rundfunk. Diese Beliebtheit erklart sich wohl vor allem daraus, dass die Hauptfigur des Marchens Iwan der Tropf oder der Dummkopf, der gar nicht so einfaltig oder dumm, sondern ganz hubsch klug und ziemlich schlau ist, einen echten russischen Volkscharakter darstellt. Naturlich einen ironisch gesehenen Volkscharakter, doch tut ja ein Schuss Selbstironie dem menschlichen Herzen und dem menschlichen Geist stets wohl. Hinzu kommt, dass der eigentliche Gegenspieler Iwans, der Zar, nun ein wirklicher Blodling ist, und das wird von den Russen gleichsam als Racheakt gegen die despotischen Herrscher empfunden, die zu Jerschows Zeiten und oft auch spater, bis in neueste Zeit hinein, das Land nicht so sehr lenkten als vielmehr unterdruckten. Bei alldem ist aber das Hockerpferd ein lustiges, interessantes und geistreiches Marchen, das Kinder wie Erwachsene gern aus reinem Vergnugen lesen. Dabei sollte der deutsche Leser beachten, dass der Name unseres Helden, Iwan, im Russischen auf der zweiten Silbe betont wird ..."