ISBN-13: 9783887697372 / Niemiecki / Miękka / 2018 / 320 str.
Wer erzählt? Ist es ein Mensch, ein Gespenst, ein Tier? Es meldet sich in politischen Versammlungen zu Wort. Es erzählt, wie es gelernt hat, die Vorderpfoten zu heben. Indem der Pfleger es auf einen Metallboden stellte, Hinterpfoten in Schuhen, der Boden wurde immer heißer, bis die Hitze unaushaltbar wurde, zugleich erklang ein Fanfarenstoß und ein Befehl. Sie musste die Vorderpfoten heben. Es erzählt also ein Tier.§Aus der Perspektive von drei Eisbären, Großmutter, Mutter und Sohn entsteht ein aufregendes Zeitporträt und eine Migrantengeschichte über drei Generationen hinweg. Sie spielt in Moskau, auf Reisen, in der DDR und zuletzt in Deutschland, in Berlin. Dieser Eisbär, der Jüngste der Folge, wurde auf der ganzen Welt bekannt. In Amerika war sein Name weit mehr Menschen ein Begriff als der Name Merkel. Die Eisbären-Großmutter wirft dem Berliner Enkel vor, nur niedlich zu sein. Doch das stimmt nicht, er tritt mit seinen Politikerkontakten für Umweltschutz ein, gegen das Artensterben. Er wird aufgefordert, die Geschichte des Nordpols zu schreiben. Aber, wie viele Migranten, war er selbst nie in seiner Herkunftsregion, auch seine Mutter und seine Großmutter nicht, drei Generationen sind bereits in Europa geboren.§Die Pflegerin seiner Mutter tauschte mit ihr Todesküsse. Mythen aus verschiedenen Teilen der Welt werden ebenso lebendig wie zeithistorische Realitäten. Ein germanischer Mythos besagt, dass Bären die Seele der Menschen rauben können. Beim Kuss gehen die Eisbärin und ihre Pflegerin ineinander über. Der ebenso berühmte Pfleger starb vor seinem Schützling. Wurde auch seine Seele geraubt? Wer spricht? Die Eisbärin schreibt gegen das Vergessen an. Die berühmte Eisbären-Pflegerin arbeitete nach Ende der DDR noch eine Weile im Zirkus, wurde dann gekündigt und vergessen. Der Westen behauptet, Zirkus im Osten sei Tierquälerei gewesen. §Der Roman lässt sich historisch, politisch und philosophisch wie lässt sich aus Tierperspektive denken? lesen. Oder einfach als wunderbare, vergnüglich zu lesende Persiflage auf Migrantenliteratur. §Yoko Tawada hat diesen Roman zuerst auf Japanisch geschrieben. Und ihn selbst übersetzt, das erste Mal, dass sie einen ihrer auf Japanisch verfassten Texte selbst übersetzte. Beim Übersetzen verwandelte sich der Text natürlich, manches schrieb sie neu. Ist es nun eine Originalroman oder eine Übersetzung, wenn die Autorin ihren eigenen Text übersetzt und in der anderen Sprache, in der sie auch original schreibt, teilweise neu formuliert? Dürfen wir ein solches Buch zum deutschen Romanpreis einreichen oder zum internationalen Übersetzerpreis oder zu keinem von beiden?