ISBN-13: 9783050043432 / Niemiecki / Twarda / 2010 / 422 str.
"Gelebte Vita" war das Stichwort, mit dem Ernst Kris und Otto Kurz 1934 in ihrer bahnbrechenden Studie uber die Kunstlerlegende auf das "psychologische Gebiet" hinwiesen, das es noch auszuloten gelte. Bettina Gockel setzt hier an und wendet diesen Hinweis in eine historisch-kritische Perspektive. In den Blick genommen wird die von Kris und Kurz nicht mehr untersuchte Phase der Biologisierung und Psychologisierung des Kunstlers im spaten 19. und fruhen 20. Jahrhundert. Die Kunstlerlegende wurde zwischen 1880 und 1930 zur Krankengeschichte vermeintlich epileptischer, degenerierter und schizophrener Kunstler. Anhand des breiten Spektrums von Krankheitsbildern der Neuropathologie und Degenerationstheorie wird erstmals erkennbar, wie wenig stringent und mit welch unterschiedlichen Werten und Zielen die Pathologisierung des Kunstlers und seiner Lebensgeschichte eine wissenschaftliche Begrundung erfahren sollte. So findet sich die Degenerationsthese, die vor und um 1900 noch das Argument einer biologistischen Kulturkritik war, wahrend und nach dem 1. Weltkrieg in psychologisch-philosophischen Abhandlungen uber den Kunstler wieder. Holderlin und van Gogh galten dabei als kranke Heroen hochster Empfindsamkeit in einer katastrophischen Moderne. Die Vorstellung vom kranken Helden schlug Kunstler und Psychoanalytiker, Psychopathologen und Kunsthistoriker in ihren Bann. Dies wird in Einzeluntersuchungen deutlich, die von Freud uber Binswanger und Jaspers bis zu Kirchner, Klee und Warburg reichen."